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Ist die Schweineproduktion in Deutschland am Ende? Ganz sicher nicht!

Beitrag in der Blog-Serie: 'Agribusiness im Wandel' – mit Dr. Jochen Riebensahm | Riebensahm Agribusiness Recruiting


In den letzten Jahren war kaum ein Bereich des Agribusiness so häufig Gegenstand von Alarmmeldungen wie die Schweinehaltung – vor allem in Deutschland. Strukturwandel, politische Unsicherheit, internationale Wettbewerbsdynamiken und ein zunehmend kritisches gesellschaftliches Klima scheinen das Ende einer Ära einzuläuten.

Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Die Branche ist nicht am Ende – sie steht an einem Wendepunkt. Und dieser eröffnet Chancen für alle, die bereit sind, neu zu denken, mutig zu handeln und strategisch zu investieren.


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Aus zahlreichen Gesprächen mit Unternehmenslenkern, Fachkräften und Branchenakteuren sehe ich fünf zentrale Erkenntnisse, die das bestätigen:


🔎 1. Die Wertschöpfungskette Schwein ist zunehmend integriert – und innovationsfähig.

Nur die Geflügelwirtschaft weist aktuell eine noch stärkere vertikale Integration auf als die Schweineproduktion. Doch auch im Schweinesektor sind Zucht, Fütterung, Stalltechnik, Tiergesundheit, Management und Vermarktung heute vielfach eng verzahnt – und bieten damit erhebliches Potenzial für Differenzierung, Spezialisierung und zukunftsfähige Geschäftsmodelle.


Gerade durch neue Kooperationsansätze, IT-gestützten Datenfluss und ganzheitliches Qualitätsmanagement entsteht ein Ökosystem, das Innovation fördert und Wertschöpfung sichert.

Klar ist aber auch: Wertschöpfung braucht Wertschätzung. Es müssen entlang der gesamten Kette auskömmliche Erlöse möglich sein – nicht nur für einzelne Stufen. Nur wenn alle Akteure in der Kette wirtschaftlich atmen können, ist die Basis für tragfähige Entwicklung gelegt.


🌱 2. Nachhaltigkeit ist kein Widerspruch zur Schweinehaltung – sondern ihr Innovationsmotor.

Die Kombination aus Tierwohl, Klimaschutz, Ressourceneffizienz und digitaler Steuerung verändert Produktionssysteme – und schafft neue Kompetenzprofile, neue Produkte und neue Wertversprechen. Wer Nachhaltigkeit als Entwicklungschance begreift, gewinnt Märkte.


Zudem: Differenzierung durch höhere Standards gewinnt auch international an Bedeutung – gerade im Wettbewerb mit Ländern wie Spanien, wo andere Haltungsbedingungen und signifikante Kostenvorteile bestehen. Wer in Deutschland bestehen will, braucht Innovationskraft, nicht Preisführerschaft.


Aber: Nachhaltigkeit kann nur dann zum echten Wettbewerbsfaktor werden, wenn gleiche Standards für alle gelten. Es darf nicht sein, dass nationale Sonderwege zusätzliche Auflagen schaffen, wo längst europäisch harmonisierte Regelungen bestehen. Überregulierung im nationalen Alleingang schwächt den Standort – nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch-strategisch.


🧭 3. Die Branche braucht Planungssicherheit – vor allem von der Politik.

Top-Produktionsstandorte entstehen dort, wo unternehmerisches Risiko kalkulierbar bleibt. Was die Branche jetzt dringend benötigt, ist eine verbindliche Produktionssicherheit für mindestens 15 Jahre, insbesondere im Rahmen der Tierhaltungskennzeichnung, TA-Luft und weiterer zentraler Regulierungen. Wer heute investieren soll, muss wissen, woran er morgen gemessen wird.


Produktionssicherheit orientiert sich an realistischen Investitionszyklen und Abschreibungsdauern – 3 bis 5 Jahre reichen hier nicht aus. Ohne eine solche Verlässlichkeit bleiben moderne Ställe, höhere Standards und Tierwohlinvestitionen betriebswirtschaftlich kaum darstellbar.


Hinzu kommen Herausforderungen durch Tierseuchen wie die Afrikanische Schweinepest (ASP), deren Bekämpfung nicht nur innerstaatlich, sondern europäisch koordiniert werden muss – insbesondere mit Blick auf die Exportfähigkeit.


Dringend notwendig sind zudem Entbürokratisierung und effizientere Genehmigungsverfahren. Wer sich auf neue Haltungsformen und moderne Technik einlassen will, darf nicht an komplizierten, langwierigen Antragsverfahren oder einem Flickenteppich von Zuständigkeiten scheitern


🛒 4. Der Lebensmitteleinzelhandel muss Erlössicherheit ermöglichen.

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Wenn Landwirte Tierwohl und höhere Standards umsetzen, braucht es auf der Absatzseite faire, planbare Gegenleistung. Höhere Haltungsformen müssen zu höheren Erlösen und längerer Erlösdauer führen. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) steht hier in der Verantwortung, durch klare Preissignale und verlässliche Partnerschaften Zukunft zu ermöglichen – nicht nur kurzfristig, sondern im Einklang mit den AfA-Zeiträumen, also auf Sicht von 10 bis 20 Jahren.


Ein faires Miteinander entlang der Kette ist essenziell. Es braucht langfristige Vertragsmodelle, keine Alibiverträge mit Laufzeiten von drei Jahren, während Investitionen über ein Jahrzehnt abgeschrieben werden müssen.


Der LEH muss seine exponierte Rolle anerkennen – und frühzeitig Verbindlichkeit signalisieren, wenn etwa ab 2030 oder 2035 nur noch Schweinefleisch aus Haltungsform 3 oder besser angeboten werden soll. Die Zeit für bloße Absichtserklärungen ist vorbei – jetzt braucht es konkrete Umsetzungsmodelle.


🇪🇺 5. Europa braucht eine starke, souveräne Tierproduktion.

In einer Welt volatiler Lieferketten und geopolitischer Spannungen wird Ernährungssouveränität zum strategischen Thema. Eine moderne, tierwohlgerechte Schweinehaltung in Europa ist nicht nur ethisch vertretbar – sie ist ökonomisch und geopolitisch notwendig.


Deutschland kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen, aber nur, wenn faire Wettbewerbsbedingungen gelten – innerhalb Europas und darüber hinaus. Nationale Alleingänge mit überhöhten Standards oder regulatorischen Sonderwegen gefährden nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Versorgungssicherheit.


Wettbewerbsfähigkeit heißt nicht Deregulierung – sondern intelligente, europaweit einheitliche Regeln, die Tierwohl, Umweltstandards und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen.


🧩 Fazit:

Ja, der Umbruch ist real. Aber ebenso real sind die Perspektiven – für kluge Köpfe, technologieoffene Betriebe und strategisch denkende Unternehmen in den vor- und nachgelagerten Sektoren.


👉 Ich bin überzeugt: Das Agribusiness – mit der Schweineproduktion als wichtigem Baustein – bleibt eine Branche der Zukunft. Wer jetzt gestaltet, gehört morgen zu den Gewinnern.


Was meinen Sie? Welche Impulse braucht es aus Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft, damit die Branche ihre Potenziale entfalten kann? Ich freue mich auf den Austausch.


Ich bin gespannt auf Ihre Gedanken hierzu und Ihre Kommentare!


Dr. Jochen Riebensahm | Business Lead 'Livestock & AgTrade'


 
 
 

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